Texte des Literaturkurses

Grabstein (von Janna)

Während ich so über den Friedhof schlendere, fange ich an mir Gedanken zu machen. Ich bin an einem Ort gemeinsam mit eigentlich so vielen Menschen. Trotzdem ist es mucksmäuschenstill und ich kann ganz genau hören, wie die Vögel sich über mir in den Baumkronen unterhalten. Was sie sich gegenseitig wohl zu sagen haben? Teilen sie gemeinsame Interessen? Erzählen sie lustige Geschichten von dem letzten Flug rüber ins Nachbarsdorf? Feiern sie gerade Geburtstag oder streiten sie sich? Trauern sie vielleicht gerade gemeinsam? Ich laufe gedankenverloren weiter, mein Blick verharrt auf den Aufschriften verschiedener Grabsteine. Kurz bleibe ich stehen und überlege, was Liselotte Hermann wohl gerne gemacht hat. Was sie jetzt in diesem Moment erzählen würde, könnte sie noch sprechen.

Mir fällt auf, dass hier so viele Menschen versammelt sind und man nichts über sie weiß. Alles, was Liselotte Hermann mir mitteilen kann,sind ihr Name und ihre Lebensdaten. Sie war wohl verheiratet, denn ein paar Jahre nach ihr wurde Tobias Hermann zu ihr ins Grab gelegt. Ich laufe weiter, Jürgen Schuhmacher lese ich. Sein Name ist der einzige auf dem Grabstein und auf dem Grab liegt ein Eishockey Puck. Ob er verheiratet war? War er einsam oder ständig unterwegs und in aller Welt bekannt? Wer hat ihm diesen Puck auf sein Grab gelegt? Der Puck ist schon ein wenig vom Moos bewachsen. Heißt das, sein Grab wurde schon lange nicht mehr besucht? Oder kommt sein Eishockey-Freund regelmäßig vorbei?

Die Menschen, die hier ruhen, sind für immer von dieser Welt. Doch was bleibt uns von ihnen? Neben den tiefen Erinnerungen, die die Angehörigen in sich tragen, nicht wirklich viel. Ein Stein ist das Einzige, was mich mit den ganzen Menschen hier verbindet. Wirklich nur ein Stein? Doch ein Grabstein ist nicht irgendein, vom Meer angeschwemmter oder vom Wandern als Andenken mitgebrachter Stein. Es ist der Stein, der wohl als einziges für alle Ewigkeit von dir übrigbleiben wird. Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, welche Daten er tragen wird? Vielleicht auch, mit wem du gemeinsam auf ihm stehen wirst? Ob er einen kurzen Spruch oder ein Zitat, welches deine Angehörigen mit dir verbinden, tragen wird, und was sie dir wohl widmen würden? Um dich später einmal besuchen zu können, müssen deine Freunde vor einen Stein treten, vielleicht sogar mit diesem Stein reden oder den Stein der Jahreszeit entsprechend schmücken. Schon schwer zu glauben, dass dich nach deinem Tod nur noch ein Stein vertritt, oder?

Aber wenn du mal kurz in dich gehst und dir Gedanken über die Eigenschaften von so einem Stein machst, wird dir die Idee dahinter bestimmt schnell klar. So ein Stein kann uralt sein. Er mag schlimme Winter, Unwetter und Hitze durchlebt haben und steht immer noch wie eine Eins. Er ist unzerstörbar und robust und wird dich auf ewig repräsentieren. Ist das nicht das, was wir uns alle eigentlich wünschen? Unsterblich, zeitlos und schwer zu beeinflussen zu sein? Dein Grabstein war mindestens genau so tapfer wie du auf deinem Lebensweg. Doch im Gegensatz zu dir ist er eben unsterblich und bleibt auch über deinen eigenen Tod hinaus für dich auf dieser Welt. Es ist also wichtig und gut, wenn du dir ausreichend Gedanken machst, wenn du für andere oder für dich nach einem passenden Grabstein suchst. Er wird das Einzige sein, was dir von einem verlorenen Menschen bleibt.

 

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